Freitag, 19. März 2010

Der ungebetene Gast

Ich bin ein ziemlich großzügiger Typ. Manche sagen ich würde es mit meiner Großzügigkeit übertreiben, aber ich habe noch nie einem Freund einen Gefallen abschlagen können.

Jedenfalls war ich vor kurzem auf einer Party. Irgendwann stand dann dieser Typ neben mir.
Ich beachtete ihn nicht weiter und nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank.
"Prost, Mann", hallte es plötzlich in mein Ohr. Der Typ hielt mir seinen Drink entgegen. "Yeah, Prost!", gab ich zurück.
"Cool dich zu treffen, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen. Was machst du denn jetzt so!?". Er blickte mich fragend an.
"Fuck, wer ist der Kerl? Und woher kennen wir uns?", schoss es mir durch den Kopf. Ich versuchte ganz cool zu bleiben. "Ey Mann, yea krass dich hier zu treffen. Was ich mache..? Ich plane mich richtig volllaufen zu lassen heute Abend. Und du?". Eine bescheuerte Antwort, aber wenigstens hatte ich so den Ball wieder zu ihm gespielt. Vielleicht würde er gar nicht mitbekommen, dass ich absolut keinen Plan hatte, wer er war und woher ich ihn kannte.
"In meinem Glas ist leider nur Apfelsaft. Ich kann keinen Alkohol mehr trinken. Das verträgt sich nicht mit den Pillen, die ich jeden Tag nehmen muss", erwiderte er. "Ich bin seit einem Monat wieder draußen. Du erinnerst dich wo sie mich hingebracht haben!? Jedenfalls hab ich durch die Pillen auch 20 Kilo zugenommen. Wundert mich, dass du mich sofort wieder erkannt hast."
"Cool. Uh, ich meine cool, dass sie dich wieder entlassen haben", gab ich zurück. Er nickte. Es entstand ein peinliches Schweigen. "Ich geh mal Pissen", sagte ich schnell. Ich ließ ihn stehen und als ich die Klotür hinter mir zumachte atmete ich erstmal tief durch.

Den weiteren Abend versuchte ich dem Jungen aus dem Weg zu gehen. Ich machte meine Ankündigung, dass ich mich besaufen würde wahr und torkelte irgendwann besoffen zur Haustür um nach Hause zu gehen.
"Hey!". Mein alter/neuer Kumpel war wieder vor meiner Nase aufgetaucht. "Ich hab da mal eine Bitte an dich. Die letzte Bahn ist weg. ich komme heute nicht mehr nach Hause. Kann ich vielleicht bei dir pennen!?"
Ich weiß nicht mehr warum ich ja sagte. Vielleicht sollte ich in Zukunft weniger trinken.
In meiner Wohnung überließ ich ihm mein Bett und legte mich ins Bett meiner schon schlafenden Freundin. Ich schlief sofort ein.

Geweckt wurde ich von lauter Musik. Meine Freundin saß mit ängstlichem Blick aufrecht im Bett. "Du, da ist jemand in deinem Zimmer!", flüsterte sie mir zu.
Ich rieb mir die Augen. "Ohje, das ist so ein Typ den ich gestern auf der Party kennenglernt habe. Beziehungsweise kenne ich ihn schon länger oder so. Ich weiß nicht genau. Er hat die Bahn verpasst und haut sicher gleich ab."
Meine Freundin schüttelte nur den Kopf. "Das hoffe ich für dich!", sagte sie nur.
Ich stand auf, öffnete die Tür und trat in mein Zimmer.
Das erste was ich sah waren meine Schallplatten. Sie lagen überall auf dem Boden verstreut. Teilweise waren sie aus der Hülle genommen und deutlich sichtbar mit Fettabdrücken übersät.
"Geile Plattensammlung. Ich steh auch voll auf die Talking Heads", rief er mir zu. Ich verstand ihn nur schlecht, weil die Musik so laut war.
"Willst du Frühstück!?", rief ich zurück.
"Nein, danke. Ich habe mich schon bedient", er wies in Richtung unserer Küche. "Durch die Tabletten habe ich ziemlich oft Fressflashs. Gut, dass ihr genug Essen da hattet."
Ich ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Er war praktisch leer.
Wieder zurück in meinem Zimmer, schnappte ich mir ein Buch und setzte mich aufs Bett. Jetzt konnte ich eigentlich nur noch abwarten bis mein "Freund" sich zum Gehen anschickten würde. Ich hoffte, dass dies schnell passieren würde.

Spät am Abend war er immer noch da. Meine Freundin winkte mich zu sich ins Zimmer und flüsterte:"Ich dachte er würde gleich gehen. Sorg dafür, dass er in spätestens zehn Minuten hier raus ist. Das ist doch ein völlig Fremder. Du kennst ihn überhaupt nicht. Schmeiß ihn jetzt raus!".
Ich nickte. Dann ging ich hinüber in mein Zimmer wo er es sich an meinem Schreibtisch vor meinem Rechner bequem gemacht hatte.
"Willst du Abendessen!?", entfuhr es mir. "Ich könnte noch schnell was besorgen." Ich traute mich einfach nicht ihn rauszuwerfen.
Auf dem Weg zum Supermarkt, fragte ich mich wie wohl meine Freundin reagieren würde.

Der Boden auf dem Flur war ziemlich hart. Ich lag in der Dunkelheit in meinem Schlafsack und versuchte einzuschlafen. Meine Freundin hatte mich aus ihrem Zimmer geworfen. Mein Bett war auch noch besetzt.
Morgens, ich wurde nicht wirklich davon geweckt, weil ich sowieso nicht richtig eingeschlafen war, stieg mein dicker Freund über mich um an den Kühlschrank zu gelangen.
Ich wünschte ihm einen guten Morgen und er gab es kauend zurück. Ich fragte mich, ob er die ganze Situation nicht genauso seltsam finden würde wie ich selbst. Unsere Kommunikation beschränkte sich nur noch auf ein Minimum. Den Tag über saß er meistens vor meinem Rechner und aß. Ich saß auf meinem Bett, beobachtete ihn und hoffte, dass er bald gehen würde.
Nach einer Woche stellte mir meine Freundin ein letztes Ultimatum. "Wenn er nicht in der NÄCHSTEN HALBEN STUNDE weg ist, dann ist unsere Beziehung Geschichte und ich schmeiße DICH hier raus!".

Eine Woche irrte ich jetzt schon auf der Straße umher. Ohne Geld klarzukommen, ist schon keine leichte Sache. Ich hatte ziemlichen Hunger.
Zufällig kam ich an meiner ehemaligen Wohnung vorbei. Mein "Kumpel" schloss gerade mit einer dicken Einkaufstüte im Arm die Haustür auf. Ich ging zu ihm. Als er mich sah, hatte ich das Gefühl einen leichten Anflug von Panik in seinen Augen zu sehen.
"Hey, na wie gehts so!?", begrüßte ich ihn. "Hey, bei mir ist alles klar und bei dir?".
"Hmm. Ehrlich gesagt ist es gerade etwas schwierig bei mir", antwortete ich. "Ich hab da mal eine Bitte an dich. Könnte ich bei dir übernachten. Ich weiß gerade echt nicht wo ich hin soll."
"Du", sagte er. "Das ist gerade etwas schwierig. Meine Freundin macht gerade ein bisschen Stress wenn ich jemanden in die Wohnung bringe. Ist ein bisschen kompliziert. Frauen halt. Du verstehst." Er zwinkerte mir zu. "Klar", sagte ich. "Kein Problem". "Ciao", er schloss die Tür hinter mir bevor ich mich verabschieden konnte. Irgendwann trottete ich weiter.